Sehn wir doch das Große aller Zeiten
Auf den Brettern, die die Welt bedeuten,
Sinnvoll still an uns vorübergehn.
Alles wiederholt sich nur im Leben,
Ewig jung ist nur die Phantasie;
Was sich nie und nirgends hat begeben,
Das allein veraltet nie!
Friedrich Schiller (1803)
Zur sonntäglichen Matinee begeben wir uns in den Münchner Südosten. Dort erwartet uns zwar keine Theaterbühne, aber immerhin die Heimmannschaft des SC Unterhaching in einem großzügigen Spielsaal. Welches Stück wird heute gegeben? Eine Farce mit acht Gröbenzeller Narren? Eine blutige Tragödie mit am Ende scheiternden Helden? Oder doch eine romantische Komödie mit Happy End?
Pünktlich um 10 Uhr beginnt die Vorstellung. Zuschauer haben sich zwar keine eingefunden, die Schachuspieler gehen dennoch engagiert an ihre Aufgabe. Vorsichtshalber haben wir Gröbenzeller einige Rollen sogar doppelt besetzt.
Der eiskalte Killer
Franz gibt den Alain Delon. Emotionslos willigt er in den Damentausch ein, der ihm ein vorteilhaftes Endspiel verspricht. Als sich der Vorteil zu verflüchtigen droht, setzt sein Kontrahent zu einem selbstmörderischen Königsmarsch an. Franz fackelt nicht lange und knipst ihm das Licht aus.
Der Schwerenöter
In unserer Altherrentruppe ist Tobi die natürliche Besetzung für diese Rolle. Schon bald wirft er der gegnerischen Dame begehrliche Blicke zu und lockt sie sie mit 17…c4!? auf schlüpfriges Terrain. Und es kommt, wie es kommen muss: die weiße Lady, kaum mehr Herrin ihrer Sinne, wird kurz darauf im Sturm erobert. Über die restliche Handlung ziehen wir diskret den Vorhang…
Der ungestüme Draufgänger
Bernd stellt sich unkonventionell auf, kommt jedoch nach einem übereilten Bauerntausch in eine strukturell missliche Lage. Wie üblich regt das seine Kreativität nur weiter an. Zunächst sorgt er für Linderung, indem er die d-Linie unter Qualitätsopfer verplombt. Kurz vor der Zeitkontrolle verschafft er sich mit 38.d6! interessantes Gegenspiel. Immer neue Komplikationen lassen keine Konsolidierung der Stellung zu, nach 60 Zügen wird schließlich Erschöpfungsfriede geschlossen. Der junge Kontrahent aus Unterhaching verdient Anerkennung dafür, dieses knallharte Actiontheater furchtlos mitgespielt und unbeschadet überstanden zu haben.
Die Fans reagieren verzückt, als Bertl in seiner Lieblingsrolle auftritt – als Glücksritter ohne Furcht und Tadel. Nach 8 Zügen hat er sich bereits beider Läufer entledigt und tätschelt liebevoll seine Pferdchen. Wenig später brennt ihm die Sicherung durch, eine wilde Opferorgie beginnt. Barmherzige Mächte haben die wahren Ereignisse verschleiert, die Notation im Internet ist weder vollständig noch korrekt. Auf dem Heimweg deutet Bertl aber dezent an, dass für den vollen Punktgewinn schon etwas Rückenwind vonnöten war. Wie auch immer, es war wieder mal ein hochdramatisches Stück voller Emotionen. Winkt da vielleicht schon eine Oscar-Nominierung?
Der kultivierte Spießer
Nach diesen nervenaufreibenden Thrillern tut etwas gepflegte Langeweile gut. Ron und sein Gegenüber spulen routiniert eine längere Theorievariante ab und lassen danach keine Gelegenheit zum Abtausch aus. Unaufgeregt steuern sie auf ein Doppelturmendspiel zu, in dem selbst ein junger Magnus Carlsen das Remisgebot nicht verschmäht hätte.
Ungeküsst von jeglicher Muse schrubbt Christian seine Weißstellung zum Remis herunter, auch hier wird bald nach der Eröffnung der Staubsauger eingeschaltet. Sein Gegenüber bringt immerhin einen Touch von Humor ins Spiel, indem er nachweist, dass selbst ein Trippelbauer die Balance im gleichfarbigen Läuferendspiel nicht ernsthaft stört. Ansonsten ist die Partie nur deshalb erwähnenswert, weil die Punkteteilung unseren Mannschaftserfolg sicherstellt.
Der tragische Held
Tom muss eine undankbare Rolle übernehmen. Nach der Eröffnung ist die Bauernstruktur zwar symmetrisch, doch verfügt Weiß über Entwicklungsvorsprung und die aktivere Figurenstellung. In einem subtilen Manöverkampf scheint Tom die ganze Partie über knapp vor dem Ausgleich zu stehen, ohne ihn vollständig zu erreichen. Just in dem Moment, als bei rein passiver Verteidigung nicht recht ersichtlich ist, wie Weiß im Turmendspiel Fortschritte erzielen kann, greift Tom mit 45…f6? fehl. Es bleibt ihm nur noch, seinem Gegner zu einer tadellos vorgetragenen Partie zu gratulieren.
Karsten kommt in der Eröffnung etwas unter Druck, befreit sich aber durch ein Qualitätsopfer mit vollwertigen Gegenchancen. Der kleine Materialnachteil lässt ihn später zweimal einem Damentausch ausweichen – zu Unrecht: 22.Dxe8! führt zu einem bequem haltbaren Endspiel, 32.Dxf6! dank des Riesenspringers sogar zu einem vorteilhaften. Karsten hält die schwer zu spielende Stellung zunächst gut zusammen, stellt die Partie dann aber ausgerechnet im verflixten 40. Zug ein.
Mit dem 4,5:3,5-Endstand haben wir unseren ersten Saisonsieg eingefahren, der allerdings kaum als Galavorstellung in die Gröbenzeller Annalen eingehen wird. Wie schon beim letzten Mal gegen Kriegshaber wurde kaum ersichtlich, dass wir an jedem Brett – teilweise erhebliche – DWZ-Vorteile hatten. Die Unterhachinger haben sich auch ohne einige ihrer regelmäßigen Ensemblemitglieder sehr gut behauptet. Wir hingegen werden weiter proben und als eingespielte Truppe im Saisonverlauf hoffentlich noch überzeugendere Auftritte hinlegen – auf den Brettern, die die Welt bedeuten.
(cg, 27.11.2018)