Aufgemerkt Ihr Zweifler, die ihr regelmäßig schwach werdet im Glauben an den Sinn der Gegnervorbereitung, wenn mal wieder ein unvermutetes Gesicht gegenüber Platz nimmt oder eine abstruse Variante aufs Brett kommt. Heute lüften wir eines der letzten großen Geheimnisse im Schach. Die Gretchenfrage lautet: wie stark werden Verlauf und Ergebnis einer Schachpartie überhaupt durch die Eröffnung beeinflusst, auf einer Skala von 0 bis 10? Nehmen wir dazu einmal die Partien unseres Heimkampfes gegen den TSV Bindlach Aktionär in Augenschein.
Die erste Eröffnungsbombe platzt bereits vor dem Anpfiff. Die Gäste aus Bindlach eröffnen uns, dass sie mit nur 7 Spielern angereist sind. Nach einer Stunde verbucht Ron einen kampflosen Sieg. 10 Punkte.
Bekanntermaßen schreibt Uli seit langem an einem Eröffnungstraktat mit dem Arbeitstitel c3 – the silent killer. Das heutige Eröffnungsdebakel mit den schwarzen Steinen ist unmittelbar auf diese Arbeit zurückzuführen. Reflexartig beantwortet Uli 10.c3 mit der Konterattacke 10…b4. Leider gibt es dabei ein taktisches Problem, das Jan Gustafsson kommentieren würde mit „never play b4 b4 castling“. 10 Punkte.
Knapp 10 Millionen Partien umfasst die aktuelle Megabase-Datenbank. Bernd und sein Gegenüber brauchen genau 5 Züge um sie endgültig hinter sich zu lassen. Die beiden halten offensichtlich wenig von etablierter Eröffnungstheorie, beharken sich dafür aber um so kreativer. Im Mittelspiel dreht Bernd mächtig auf, sein Damenspringer würgt erst den schwarzen Damenflügel, dann den Königsflügel. Großes Kino, aber nur 2 Punkte.
Bertl wurmt es mächtig, dass er doppelt so lange braucht um der Megabase zu entkommen, nämlich 10 Züge. Dann aber manöviert er kaltblütig in einer Stellung, in der jeder Zahnarzt zum Bohrer greifen würde. Belohnung: remis durch Dauergardez und 4 Punkte.
Christian hat Ulis Manuskript nicht richtig verstanden und spielt erst im 2. Zug c3. Das ist offensichtlich zahnlos. Folgerichtig agiert er auch im Endspiel ohne rechten Biss und lässt den Gegner mit einer Fleischwunde davonkommen. 7 Punkte.
Waldemar nimmt Eröffnungen sehr ernst. Heute folgt er einer Vorbereitung, die er einst für einen gewissen Herrn Mamedyarov angefertig hat. Shak hatte die Stellung nach 16.Tf2 bereits dreimal auf dem Brett, aber niemals so souverän verwandelt wie jetzt Waldemar – Chapeau! 8 Punkte.
Auch an Brett 3 geht es prinzipiell zu. Die Recken wiederholen 12 Züge lang ihre Partie vom letztjährigen Mannschaftskampf, einschließlich schwarzem Qualitätsopfer. Dann entkorkt Toms Gegner die Neuerung 13.Dd2 und schraubt die schwarze Stellung auseinander. Schließlich hat er auch ein halbes Jahr Zeit gehabt für die Analyse. 9 Punkte.
Karsten entscheidet das Eröffnungsduell am Spitzenbrett klar für sich. Sein König ist sicher eingemauert, während die weiße Rochadestellung am Damenflügel sturmreif scheint. Die Partie kippt komplett, als der Gegner den Damentausch und damit den Übergang in ein vorteilhaftes Endspiel erzwingen kann. 0 Punkte.
Wie steht es damit um unsere Gretchenfrage? 50 von 80 möglichen Punkten, also 62,5% oder eben sechskommazwofünf auf der Zehnerskala. Ach ja, der Mannschaftskampf geht 4:4 unentschieden aus, aber das interessiert zu diesem Zeitpunkt keinen mehr.
(cg, 17.01.2023)