Als ungeschlagener Spitzenreiter der Landesliga Süd empfangen wir zuhause das bislang sieglose Tabellenschlusslicht aus Freising. Die Gäste bringen im Durchschnitt fast 200 DWZ-Punkte weniger ans Brett, zudem reisen sie nur zu siebt an. Viel einseitiger kann eine Ausgangslage kaum sein. Aber eine so klare Favoritenstellung verführt eben auch zu Sorglosigkeit und Überheblichkeit. Zusammengenommen mit dem mutigen Auftritt der Freisinger sorgt diese Konstellation für unseren bislang schwächsten Wettkampf der Saison.
Vier Partien sind relativ schnell entschieden. Zunächst verbucht Christian nach einer Stunde Wartezeit einen kampflosen Punkt. Uli findet sich in der königsindischen Struktur nicht gut zurecht, während sein Gegner geschickt Bauernschwächen erst provoziert und dann attackiert. Nach dem kompensationslosen Verlust zweier Bauern muss Uli bald aufgeben. Tobi eröffnet ruhig, baut dann aber Druck am Königsflügel auf. Dem kann sein Gegner nicht lange standhalten, nach dem Fehlgriff 23…Sg7? macht Tobi den Sack rasch zu. Karstens Gegner steuert mit Weiß zielstrebig ein remisträchtiges Caro-Kann-Endspiel an. Die beiden spielen noch etliche Züge weiter, ohne dass das Gleichgewicht jemals gefährdet wird. Damit steht es 2,5:1,5, doch Siegeszuversicht mag sich unter den Gröbenzellern Kiebitzen noch nicht verbreiten, im Gegenteil.
An Brett 5 tischt der Anziehende das seltene Norris-Gambit auf, also Albins Gegengambit im Anzug mit Mehrtempo Lf4. Mario zeigt sich gut vorbereitet und erhält das aussichtsreichere Spiel. Schon bald hat er die Gelegenheit, eine Glanzpartie abzuliefern, am schönsten vielleicht mit der Variante 15…Lxb2+! 16.Kxb2 Dxa3+ 17.Kb1 c4!. Später gibt ihm der Gegner weitere Chancen zum Aufbau einer starken Angriffsstellung, aber an diesem Tag soll es einfach nicht sein.
Bertl überrascht ebenfalls mit einer exotischen Eröffnungsidee. Die Kiebitze sind sich uneins, was sie mehr bewundern sollen: die Spielstärke des amtierenden Weltmeisters, der mit diesem dubiosen System (Skandinavisch mit 3…De6+) in zwei Blitzpartien gegen GM Mamedov kürzlich immerhin 50% holte, oder Bertls Anspruch, den Carlsenschen Aufbau mit 4…c5 zu verbessern. Die einzige Megabase-Partie mit dieser Stellung wurde 1995 am World Open Philadelphia in der U1600-Kategorie gespielt und endete mit Matt nach 13 Zügen. Nach 13 Zügen ist Bertl immerhin noch nicht matt, aber doch in einer positionell schwierigen Lage.
Auch am 2. Brett wird ein unkonventioneller Skandinavier diskutiert, hier allerdings in dem Abspiel mit 2…Sf6. Tom erreicht den eröffnungstypischen Raumvorteil, aber die schwarze Stellung ist widerstandsfähig und bietet wenig konkrete Angriffspunkte.
Ron stellt den Marshall-Angriff aufs Brett, der für seinen Gegner – abgelesen an Zeitverbrauch und Mimik – ebenfalls eine exotische Eröffnungsidee darstellt. Ron opfert einen zweiten Bauern und erhält schöne Kompensation. Nach einer verpassten Chance (19…Td(f)e8!) scheint sich eine Art dynamisches Gleichgewicht einzustellen.
Im Zulauf auf die Zeitkontrolle wird immer deutlicher, dass unsere Aussichten auf einen Matchgewinn gegen Null tendieren. Marios und Bertls Stellungen klären sich zusehends, leider eindeutig zu ihren Ungunsten. Tom setzt mit 33.g4?! die Brechstange an und landet in einem undankbaren Endspiel. Immerhin erhält Ron seine Gambitbauern zurück und scheint mit dem Läuferpaar gewisse Siegchancen zu haben. Die Matchprognosen der Kiebitze reichen von einem pessimistischen 3:5 bis zu einem mit etwas Rückenwind noch erreichbaren 4:4.
Bertl und Mario geben unmittelbar nach der Zeitkontrolle bzw. der damit verbundenen Raucherpause auf. Tom versucht, das Blatt mit einem verzweifelten Figurenopfer zu wenden, dabei setzt er auf seine vorgeschobenen Bauern am Damenflügel. Sein Gegner muss sich nun zwischen sofortigem Gegenangriff (47…Td7! nebst Td1 bzw. Td2) oder vorherigem Absichern des Damenflügels entscheiden, beide Strategien führen bei korrekter Umsetzung zum Erfolg. Zu unserem Glück entscheidet er sich für eine inkonsistente Mischstrategie und verschenkt dann noch ein kritisches Tempo. Tom ergreift die Gelegenheit beim Schopf und erzwingt die Bauernumwandlung – Ausgleich!
Ron hat seinen Gegner inzwischen überspielt und auf undeckbares Matt gestellt. Dieser braucht noch längere Zeit und den tröstenden Zuspruch seiner Mannschaftskameraden, bevor er sich in sein Schicksal fügt und aufgibt.
Da sind wir sind der drohenden Niederlage gerade noch einmal von der Schippe gesprungen. Mühelos gelingt anschließend der Nachweis, dass wir auch einen glücklichen Erfolg gebührend zu feiern verstehen, zumal sich unser Vorsprung an der Tabellenspitze durch die anderen Ergebnisse noch vergrößert und unsere 2. Mannschaft ebenfalls gewonnen hat.
(cg, 10.02.2020)