Bamberg ist eine Reise wert. Schon am Samstagvormittag fahren wir auf der Autobahn gen Norden, schließlich haben wir uns ein ehrgeiziges Programm vorgenommen. Nach dem Einchecken stärken wir uns auf dem schön geschmückten Bamberger Weihnachtsmarkt. Sowohl die heimischen Bratwürste als auch der Winzerglühwein munden vorzüglich. Unser Experte empfiehlt dabei die fruchtbetonte Variante mit calvadosgetränktem Apfelring. Zur Ausnüchterung suchen wir anschließend ein traditionsreiches Gasthaus auf, die lokalen Biersorten wollen fachmännisch verkostet sein. Eine kulturell interessierte Minderheit besichtigt unterdessen das Domareal, kehrt aber bald frierend in das wohlig geheizte Gasthaus zurück.
Beim leckeren Abendessen stimmt uns der Captain auf den Wettkampf ein, „ein 4:4 würde uns schon gut tun“. Entspannt greifen wir zum Glas mit dem süffigen Selbstgebrauten, da präzisiert Tom: „ich meine natürlich ein russisches 4:4, also 4 sichere Schwarzremis und 4 überzeugende Weißsiege“. Ungläubig starren wir Tom an, einige verschlucken sich gar am Bier. Hektisch werden nun Eröffnungsstrategien diskutiert. Sollte man statt des geplanten 1.Sc3 doch lieber 1.a4 spielen, um einer eventuellen Vorbereitung aus dem Weg zu gehen? Und werden die Tschechen ihre Spezialvarianten aufs Brett bringen, falls sie überhaupt antreten? Angesichts solch drängender Fragen wird das nächtliche Schafkopfen spontan abgesagt und schon gegen Mitternacht der Zapfenstreich geblasen.
Am nächsten Morgen begeben wir uns nach gemeinsamem Frühstück (mit alkoholfreiem Müsli!) zum Spiellokal. Beim Verlesen der Aufstellungen wird klar, dass die Bamberger ohne ihre beiden Spitzenspieler auskommen müssen und dadurch in die Rolle des Außenseiters rutschen. Tatsächlich stimmen die Stellungen nach der Eröffnungsphase optimistisch. Fast durchweg haben unsere Weißspieler gefälliges Druckspiel, die Schwarzspieler keinerlei Probleme.
Es dauert dann auch nicht mehr lange bis die ersten Entscheidungen fallen. Tom gewinnt sehenswert, indem er Drohungen gegen die schwarze Königsstellung geschickt mit der Andeutung kombiniert, den vom Gegner eigentlich nur vorübergehend geopferten Gambitbauern zu behalten. Der Monarch des Nachziehenden überlebt, aber das Doppelturmendspiel ist hoffnungslos. Uli fällt es in einer skurrilen Wiener Partie (1.Sc3!? Sf6!? 2.e4 e5) nicht schwer, das Loch in der tragikomischen Opferkombination seines Gegners aufzuzeigen, es verbleibt ihm eine Mehrfigur mitsamt Kompensation.
Beim Spielstand von 2:0 kann sich Alexander den Luxus leisten, in überlegener Stellung ein Remisangebot anzunehmen. An Brett 5 massiert Bertl solange den schwarzen Damenflügel, bis der Gegner zu einem verzweifelten Bauernausfall greift. Kurz darauf explodiert die schwarze Stellung auch schon. Anton überlebt um Haaresbreite den kreuzgefährlichen Opferangriff seines Gegners und willigt in eine dreifache Stellungswiederholung ein. Ein Weiterspielen erscheint ihm angesichts der entblößten Königsstellung fahrlässig und angesichts des erreichten Zwischenstands (4:1) auch unnötig.
Kaum nimmt der deutliche Mannschaftsieg Konturen, setzt eine gewisse Nachlässigkeit ein – oder ist es vorweihnachtliche Milde? Jedenfalls übersieht Christian in der vermeintlichen Schlusskombination ein wichtiges Detail und muss ein pittoreskes Dauerschach auf h1 und a8 zulassen. Bernd ergeht es im Endspiel mit Mehrfigur gegen zwei Bauern ähnlich, auch hier endet die Partie überraschend mit Dauerschach. Den glanzvollen Schlusspunkt setzt Karsten, indem er Schachlegende IM Josef Pribyl in einer meisterhaft geführten Partie bezwingt – besonders 41.h3! gefällt.
Am Ende steht ein ungefährdeter 6:2-Sieg. Vertauscht man die Ergebnisse der Bretter 6 und 7, so ergibt sich tatsächlich ein lupenreines russisches 4:4. Der Captain ist zufrieden, dass das Team die Vorgabe so diszipliniert umgesetzt hat. Die Weihnachtspause können wir nun entspannt auf dem 2. Tabellenplatz genießen. Nur eine Frage bleibt offen: Wann wird das Schafkopfen nachgeholt?
(cg, 12.12.2022)